Moderne Kriege – Konsequenzen für Führung und Ausbildung

 

Br Lätsch veranschaulicht uns anhand einer Weltkarte den Global Peace Index. Schnell wird klar, dass es noch nie so viele Konflikte auf der Erde gab wie heute. Viele sind interne oder lokale bzw. regionale Konflikte, aber praktisch alle haben globale Auswirkungen. Die Konflikte haben sich in den letzten 25 Jahren massiv geändert. Bis 1989 herrschte Kalter Krieg, ab 1990 begann die Phase der humanitären Interventionen, wie z.B. der Völkermord in Ruanda, wo die Weltgemeinschaft tatenlos zusah oder aber der Jugoslawien Konflikt mit internationaler Beteiligung wie z.B. SFOR, IFOR , KFOR etc. Ab 1991 war die Welt mit dem Terrorkrieg im Golf und Irak konfrontiert. Seit 2014 erleben wir den neuen „Kalten Krieg“ mit der Annektierung der Krim, dem Krieg in der Ost-Ukraine und der russischen Aufrüstung.


Am Beispiel von Kassandra, der tragischen Heldin aus der griechischen Mythologie, welche das Unheil stets voraussah, aber niemals Gehör fand, mahnt Br Lätsch, dass wir nicht aufhören dürfen, die geopolitische Lage sorgfältig zu analysieren und die notwendigen Schlüsse daraus zu ziehen, auch auf die Gefahr hin, dass wir danach nicht mehr „geliebt“ werden. Die Zeit des Kalten Krieges war eine relativ ruhige und berechenbare Zeit. Der Gegner hatte ein klares Gesicht und man kannte - angefangen von den reglementarischen Vormarschzeiten über die Anzahl Korps und Divisionen bis zu den Abständen von Panzer zu Panzer - alles. Die Zeit nach dem kalten Krieg und der erhoffte ewige Frieden sind aber definitiv vorbei, die neuen Konflikte sind noch hässlicher als die alten. Längst überwunden geglaubte Bilder sind wieder da, z.B. als Europa im 30-jährigen Krieg in Chaos, Tod, Verwüstung und Elend versank. Kriegshandlungen, Hungersnöte und Seuchen verwüsteten und entvölkerten ganze Landstriche. Die heutige Realität: Im Golfkrieg von 2003 sind auf alliierter Seite etwa 5‘000 Soldaten gefallen, gegen 33‘000 wurden verwundet. Man spricht von bis zu 600‘000 zivilen Opfern. Der Krieg in Afghanistan hat in den letzten 15 Jahren 70‘000 Opfer gefordert und in Syrien geht man von über 250‘000 Toten aus, ein Ende ist nicht in Sicht, ebenso wenig ein wirksamer Waffenstillstand oder eine gemeinsame Zielformulierung der Hauptakteure USA, Russland, Türkei Iran und Saudi-Arabien. So zeigten sich an der Münchner Konferenz die Amerikaner wie immer optimistisch, die Europäer pessimistisch und die Russen selbstbewusst. Letzteres erstaunt auch nicht, da die Russen trotz schrumpfender Wirtschaftsleistung und hoher Inflation massiv aufrüsten. An der Parade vom 9. Mai 2015 konnte aktiv zu Kenntnis genommen werden, dass die russische Rüstungsindustrie wieder hochmoderne Waffensysteme produziert.


Europa und die Schweiz als Teil Europas sind durch die neuen Konflikte unmittelbar betroffen. Die Kriege in Nahen und Mittleren Osten führen nicht nur zu bisher unbekannten Migrationswellen, auch die Nachrichtendienste warnen vor Djihadisten, die im Zuge dieser Migrationswellen nach Europa gelangen, mit dem Ziel, islamistische Terroranschläge durchzuführen. Armut, Missmanagement, Korruption und schlechte Regierungsführung in Afrika führen zu weiteren Migrationsströmen, die über kurz oder lang nicht mehr alleine durch die zivilen Organisationen bewältigt werden können. Hier gilt es, unsere Armee besonnen und konsequent auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten.


Eine weitere Herausforderung der neuen Zeit ist die veränderte Umwelt. Hierzulande dominieren überbaute Gebiete das Mittelland. Man kann sich einen Angriff mit entfalteten mechanisierten Grossverbänden in der Agglomeration von Winterthur-Zürich-Limmattal nur noch schwer vorstellen, geschweige denn führen. In künftigen Konflikten geht es um strategische Interessen. Da die Schweiz keine Rohstoff besitzt, liegen die Interessen im urbanen Gebiet, und dieses zieht sich vom Bodensee bis zum Genfersee und liegt in der Region Basel samt dem Fricktal sowie im Sotto Ceneri. Selbsterklärend, dass im überbauten Gebiet auch der Einsatz mechanisierter Truppen stattfinden wird. Obwohl der Fokus heute vorwiegend auf der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle liegt, ist die moderne Rüstungstechnologie keinesfalls zu unterschätzen, selbst in kleineren Stückzahlen ist diese ausserordentlich leistungsfähig. Der erfolgreiche Einsatz der Luftwaffe ist eine Voraussetzung für einen Einsatz der Bodentruppen, wie auch der gezielte Einsatz von EKF-Mitteln und Sonderoperationskräften erfolgsrelevant ist. Psychologische Kriegsführung spielt eine entscheidende Rolle, denn wer die Widerstandskraft der gegnerischen Bevölkerung brechen kann, wird nicht mehr kämpfen müssen.


Br Lätsch erläutert uns die hybride Bedrohung in Konflikten: Eine Mischung von regulären und irregulären Truppen, überlagert durch Terrorismus und organisierte Kriminalität im gleichen Raum, zur gleichen Zeit, wenn auch in unterschiedlicher und wechselnder Intensität charakterisieren moderne Kriege. Dabei spielt die Zivilbevölkerung eine entscheidende Rolle, und sie wird dreigeteilt sein. Ein Teil wird uns unterstützen, und wir können nur hoffen, dass dies der grösste Teil ist. Ein Teil wird indifferent sein und im falschen Moment die Front wechseln. Ein Teil wird von Anfang an und auch militant gegen uns sein. Die Phänomene können Flüchtlingsströme, Demonstrationen oder Krawalle, Plünderungen, aber auch die Zusammenarbeit mit irregulären und fremden regulären Streitkräften sein. Besondere Formen des Krieges wie Wirtschafts-, Informations- und Cyberkrieg schaffen die Voraussetzungen für ein militärisches Eingreifen.
Neben den im engeren  Sinne militärischen Bedrohungen dürfen wir auch andere Gefahren und Bedrohungen nicht aus den Augen verlieren.  Br Lätsch zeigt uns am Beispiel eines längeren Stromausfalls die Konsequenzen für die Wirtschaft und Gesellschaft auf. Spätestens wenn es zu Plünderungen und Überfällen kommt, wird die Armee in hohem Masse gefragt sein.


Als Kdt Generalstabschule ist Br Lätsch überzeugt, bereits gut auf die WEA vorbereitet zu sein, da sich die Konflikte nicht innerhalb von wenigen Monaten verändern, ebenso die Tatsache, dass hybride Kriege nicht völlig neu sind, sie wurden in der Vergangenheit einfach nicht zur Kenntnis genommen. Auf der Basis der konkretisierenden Doktrin WEA ist die HKA daran, ein operativ-taktisches Rahmenwerk zu erarbeiten. Es soll helfen, das Denken in diesem Bereich weiter zu schärfen.


Br Lätsch schliesst seine Ausführungen mit einer Zusammenfassung über die modernen Konflikte, welche entlang von Hauptachsen, mitten in überbautem Gebiet, und somit mitten in der Zivilbevölkerung stattfinden werden, begleitet von Informations- und Cyberkrieg, Sonderoperationskräften, EKF und massiver Unterstützung durch die Luftwaffe. Die Hybridität der Bedrohung muss - von der Problemerfassung bis hin zum Einsatzplan - in unserem Denken und Handeln berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass die künftigen Herausforderungen nur in enger Kooperation mit den zivilen Partnern zum Erfolg führen können. Auch müssen die Gefechtsgrundsätze neu überdacht werden. Sicherheit bekommt in einem hybriden Umfeld einen hohen Stellenwert und zwar ab Mobilmachung, nicht erst nach Überschreiten der Ablauflinie. Die Gegenseite hat viel Zeit und unsere Durchhaltefähigkeit ist deshalb erfolgsrelevant. Unsere Flexibilität und die permanente Handlungsfreiheit sind deshalb ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Einen neuen Gefechtsgrundsatz müssten wir anfügen: die Initiative.


Der Verbund muss ebenfalls neu gedacht werden. Verbände müssen massgeschneidert für den jeweiligen Auftrag gegliedert werden. Während uns eine massgeschneiderte Gliederung innerhalb des eigenen Bat noch vertraut ist, wird es bei der Mischung von Pz Gren mit Pz Sap schon schwieriger. Es braucht gegenseitige Kenntnis der Doktrin und der Einsatzverfahren. Führungsunterstützung und Logistik müssen geregelt werden. Werden Verbände aus Ter Div mit Verbänden einer Mech Br gemischt, dann sind zusätzlich Mentalitätsgrenzen zu überwinden.


Diese Problematik gilt es in der WEA  noch in den Griff zubekommen!      

 

Folgender Bericht erschien in der Zeitung "D'Region":